ICH KANN ALLES UND GLEICHZEITIG KACKEN.

Meine Endometriose-Reise mit Endstation Stoma.

Als das erste Mal ein Arzt einen künstlichen Darmausgang in Zusammenhang mit meinem Körper erwähnte, war ich Anfang zwanzig und litt unter zunehmend schlimmer werdenden Periodenschmerzen. Ich hatte ein paar Monate davor die Pille abgesetzt, und die Krämpfe und Beschwerden an den ersten Tagen der Regelblutung waren so schlimm, dass ich meinem Gynäkologen davon erzählte. Und der meinte nach einer Untersuchung sofort, dass er Endometriose bei mir vermutete.

Endo-was?

Heute hat fast jede Frau schon einmal etwas von Endometriose – einer Erkrankung, die immense Beschwerden, unter anderem vor allem starke Regelschmerzen und ungewollte Kinderlosigkeit verursachen kann – gehört. Damals, Anfang der Nuller-Jahre, war die Aufklärung zu dem Thema noch so gut wie gar nicht vorhanden. Da ich noch nie etwas von dieser Erkrankung gehört hatte, ließ ich es mir von meinem Arzt erklären und fragte dann, was ich denn jetzt tun sollte. Seine Antwort war: „Sie könnten sich operieren lassen, aber da müssen Sie schon damit rechnen, dass sie ohne Gebärmutter und mit künstlichem Darmausgang wieder aufwachen.“

Die Aussicht darauf war für mich so niederschmetternd, dass ich erst einmal beschloss, gar nichts zu tun. Vor allem der Gedanke an ein Stoma war für mich die Horrorvorstellung schlechthin. Ich wollte alles, nur das nicht. Die nächsten zwei Jahre steckte ich also den Kopf in den Sand. Als es nicht mehr auszuhalten war – und ich meine damit, dass ich an den ersten beiden Tagen der Periode trotz maximaler Tablettendosis nicht mehr aufrecht stehen und das Bett kaum mehr verlassen konnte – begann ich zu googeln, fand die Selbsthilfegruppe EVA – Endometriose Vereinigung Austria und über diese einen Endometriose-Spezialisten. Der bestätigte den Verdacht und riet mir zu einer Bauchspiegelung. Dieser stimmte ich im Mai 2006 schließlich auch zu, aber nur mit dem Versprechen meines Arztes, mir keine Organe zu entfernen und kein Stoma zu legen.

Siebenundvierzig Tage Krankenhaus

Aus einem laparoskopisch geplanten Eingriff und vier Tagen Krankenhausaufenthalt wurde eine Riesen-OP mit Bauchschnitt und der Entfernung eines elf Zentimeter langem Stückes Dickdarm. Einen vorübergehenden künstlichen Darmausgang, wie er zum Schutz der Wunde im Darm bei solchen Operationen oft gemacht wird, hatte ich nicht. Und prompt verlief die Heilung problematisch. In der Narbe im Darm blieb ein kleines Loch, das nicht und nicht heilen wollte. Erst nach einer Phase mit künstlicher Ernährung, permanenten Darmspülungen und Riesen-Dosen Antibiotika schloss sich dieses Loch endlich, und nach mehr als einem Monat im Krankenhaus konnte ich entlassen werden.

Danach schien alles gut zu sein. Nach vier Monaten Krankenstand nahm ich langsam mein Leben wieder auf, begann es aber zu verändern. Anfangs unbewusst, später immer bewusster, fing ich an, mehr auf meine Bedürfnisse zu hören und Dinge zu tun, die ich vor meine OP immer als egoistisch empfunden hatte. Ich lernte Nein zu sagen und auf die Meinung anderer nicht mehr so viel Wert zu legen. Ich verließ meinen Job und schaffte es, eine schwierige Beziehung nach langem Hin und Her endlich hinter mir zu lassen. Die Endometriose – eine chronische Krankheit, für die die Medizin bis heute keine ursächliche Behandlung und damit auch keine Heilung kennt – ließ mich in Ruhe und es ging mir gut. Bis es mir plötzlich nicht mehr gut ging.

Ein faustgroßes Drama im Bauch

Über die Jahre hatte ich immer wieder unter Verdauungsbeschwerden und eigenartigen Kreuzschmerzen gelitten. Doch da diese nach ein paar Tagen immer wieder von allein verschwunden waren und die beschwerdefreien Phasen oft Monate gedauert hatten, hatte ich diesen Zustand lange nicht ernst genommen. Schließlich war ich am Darm operiert, ab und zu Beschwerden zu haben, schienen mir da normal zu sein. Wenn ich doch bei Ärzt:innen vorstellig wurde, vermutete man Bandscheiben- oder Ischias-Probleme, eine echte Diagnose erhielt ich aber nie.

Im Herbst 2018 wurde mein Zustand so schlimm – ich nahm wieder täglich eine Maximal-Dosis Schmerzmittel und konnte mein rechtes Bein nicht mehr ordentlich bewegen – dass ich den Gynäkologen wechselte. Ich vermutete, dass die Endometriose wieder aufgeflammt war. Doch der neue Spezialist untersuchte mich und schloss Endometriose als die Ursache meiner Beschwerden schnell aus. Er schickte mich aber zu einem MRT, denn irgendwoher mussten meine Schmerzen ja kommen. Und prompt wurde die Ursache auch entdeckt: An der alten Naht in meinem Darm war über die Jahre ein unentdeckt gebliebener Abszess entstanden, der mittlerweile faustgroß war und eine Fistel in den Muskel entwickelt hatte, der die Bewegung meines rechten Beines steuerte. Eine neue OP war unumgänglich.

Stoma oder kein Stoma?

Der Abszess sollte also entfernt werden, und mein Chirurg stellte mich vor die Wahl: eine OP mit anschließendem protektivem Stoma für etwa zwei Monate, oder eine viel aufwendigere OP namens „Kolo-analer Durchzug“ ohne Stoma. Die Entscheidung war ohne viel darüber nachzudenken für mich sonnenklar: auf keinen Fall ein Stoma! Und so ging ich schließlich im März 2019 ins Krankenhaus und wachte nach achtstündiger OP auf der Intensivstation auf. Der Abszess, die Fistel und das durch jahrelange Entzündungen kaputte Stück Darm waren entfernt und der gesunde Darm ohne eine Naht zu setzen durch meinen After nach außen gezogen worden. So sollte verhindert werden, dass es wieder zu Komplikationen bei der Heilung der Darmnaht kam. Und so lag ich da im Krankenbett und konnte meinen Schließmuskel nicht kontrollieren – also völlig stuhlinkontinent.

Diese Tage im Krankenhaus waren die entwürdigendsten meines Lebens. Einmal nachts, als eine Krankenschwester mir half, mir meinen kotverschmieren Hintern zu waschen, fragte sie mich, warum ich mir denn das angetan und nicht einfach ein Stoma hatte legen lassen. Ich verstand damals überhaupt nicht, was sie meinte, denn in meiner Vorstellung wäre ein Stoma noch schlimmer gewesen. Nach zwei Wochen wurde schließlich das überstehende Stück Darm abgeschnitten und eine Naht gesetzt, nach einer weiteren Woche wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Und fünf Monate später – in denen ich meine Kontinenz nicht wirklich wiedererlangt hatte – war wieder ein Abszess da.

Und jetzt: keine andere Wahl!

Diesmal war es sogar noch schlimmer. Es waren zwei Löcher in meinem Darm entstanden, und außer den Abszess hatte ich nicht nur wieder diese Fistel in den gleichen Muskel, sondern auch eine rectovaginale Fistel, also einen Gang, der meinen Darm mit meiner Vagina verband. Hinzu kam Dauer-Durchfall, und das Ergebnis war unkontrollierbarer Stuhlabgang über meine Scheide, wieder kaum beherrschbare Schmerzen, und ich magerte auf 46,5 Kilogramm ab. Da man sich diese neuerlichen Komplikationen nicht recht erklären konnte, stand der Verdacht auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa im Raum. Ein Untersuchungsmarathon begann, der aber ergebnislos blieb – keine CED. Klar war aber auch, dass ich mich wieder würde operieren lassen müssen. Denn ein Leben in meinem Zustand – nur mehr 46,5 Kilogramm schwer und wegen meiner Stuhlinkontinenz quasi an die Wohnung gefesselt und meines Soziallebens beraubt – war auf Dauer nicht denkbar. Und diesmal wurden die Stimmen aus meinem Ärzt:innen-Umfeld immer lauter, die mir dringend zu einem künstlichen Darmausgang rieten.

Tatsächlich war das auch der Zeitpunkt – fünfzehn Jahre nachdem ich das erste Mal mit diesem Thema konfrontiert worden war – als ich mich zum allerersten Mal über ein Stoma informierte. Und ganz schnell fand ich heraus, dass ich mir einen künstlichen Darmausgang immer völlig falsch vorgestellt hatte. Ich war davon ausgegangen, dass dabei ein Schlauch in den Bauch eingesetzt würde, und hatte nicht heilende, netzende, schmerzende Wunden, Gestank, Scham und Stigma im Kopf gehabt. Jetzt fand ich heraus, dass nichts davon stimmte. Bei einem Stoma wird tatsächlich „einfach“ der Darm durchtrennt, am Bauch nach außen geleitet und an der Bauchdecke festgenäht. Darüber wird ein Beutel geklebt, der den Stuhl auffängt und regelmäßig ganz leicht vom Stomaträger selbst gewechselt werden kann.

Damit kann ich leben

Eine riesige Hilfe vor meine Stoma-OP waren tatsächlich die sozialen Medien. Vor allem auf Instagram fand ich viele Accounts junger, hübscher, mitten im Leben stehender Menschen mit einem künstlichen Darmausgang. Sie teilten bereitwillig ihren Alltag mit Stoma, ließen andere an den Beutelwechseln teilhaben und klärten über Mythen auf. Diese Menschen machten mir Mut und bald war ich mir sicher, dass ich das auch schaffen könnte. Ich stimmte der Stoma-Anlage also zu.

Am 16. März 2020 – dem ersten Tag des ersten Covid-Lockdowns in Österreich – bekam ich also einen künstlichen Darmausgang. Schon am Tag der OP war klar, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sofort fühlte ich mich besser, brauchte keine Medikamente mehr, lernte mich ganz schnell selbst um mein Stoma zu kümmern und wurde am sechsten postoperativen Tag entlassen. Den Lockdown habe ich in bester Erinnerung. Ich hatte Zeit, mich zu erholen, unternahm immer länger werdende Spaziergänge in der Sonne, und obwohl es in der Zeit sehr viele Einschränkungen gab, hatte ich endlich das Gefühl, überhaupt wieder ein Leben zu haben. Ja es ging mir mit meinem Stoma so gut, dass ich mich ein halbes Jahr später gegen eine Rück-Operation entschloss.

Ein absolut lebenswertes Leben

Ich werde meinen künstlichen Darmausgang für immer behalten, und darüber bin ich überhaupt nicht traurig. Natürlich, könnte mit einem Finger schnippen und ein komplikationsloses Leben ohne Stoma und ohne Beschwerden haben, dann würde ich das tun. Aber eine Rück-OP ist bei mir mit vielen Risiken verbunden. Niemand kann mir garantieren, dass ich nicht wieder Entzündungen, Löcher im Darm, Abszesse und Fisteln entwickeln werde. Und auch wenn nicht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich mein Leben lang stuhlinkontinent bleiben würde. Und auf ein Leben mit Windeln habe ich nun gar keine Lust.

Ich komme gut mit meinem Stoma zurecht, kann alles machen, was ich auch ohne Stoma machen würde und fühle mich – obwohl ein Stoma eine Behinderung darstellt – nicht wirklich eingeschränkt. Mein Motto lautet: Ich kann alles, und gleichzeitig kacken. Ich bin auch niemandem böse und hadere auch nicht mit meinem Schicksal. Ohne die vielen gesundheitlichen Herausforderungen in meinem Leben wäre ich heute nicht dort, wo ich bin. Und genau dort möchte ich sein. Ich lebe ein erfülltes Leben mit meiner Frau Claudia, habe bereits zwei Bücher veröffentlicht (Endometriose – Ein Selbsthilfebuch & Gut leben mit Beutel am Bauch – Ein Stoma-Mutmachbuch; erhältlich in allen Buchhandlungen) und schreibe aktuell an meinem ersten Roman. Viele Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte, sind wahr geworden und heute kann ich sagen: Ich bin gesund und glücklich – trotz Endometriose und Stoma.

Unsere Gastautorin

Rita Hofmeister lebt mit Endometriose und einem künstlichen Darmausgang. Über ihre Erfahrungen und ihren Weg damit umzugehen schreibt sie in ihren Büchern Endometriose – Ein Selbsthilfebuch und Gut leben mit Beutel am Bauch – Ein Stoma-Mutmachbuch (erhältlich in allen Buchhandlungen). Sie arbeitet aber nicht nur als Autorin, sondern auch als Mentorin für ganzheitliche Gesundheits- und Bewusstseinsbildung und begleitet Menschen auf ihrem Weg durch Herausforderungen. Leseproben und Infos zur Terminvereinbarung auf http://www.ritahofmeister.com sowie auf Instagram @‌rita_hofmeister

 

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